6.1.1 Parlament
Das Europäische Parlament (EP) mit Sitz im Straßburg hat 732 Abgeordnete, davon 99 aus Deutschland. Das Parlament vertritt derzeit 455 Millionen EU-Bürger in 25 Mitgliedsstaaten. Die Abgeordneten schließen sich in übernationale Fraktionen zusammen, die nicht nach ihrem Herkunftsland sondern nach ihrer Fraktionszugehörigkeit vereint im Plenarsaal sitzen. Das EP wählt aus seiner Mitte einen Präsidenten und 14 Vizepräsidenten für eine halbe Wahlperiode. 
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Zwölf Wochen pro Jahr finden Plenarsitzungen statt. In der Zwischenzeit tagen die  24 ständigen Ausschüsse und Fraktionen in Brüssel, um einen fortwährenden Kontakt zur Kommission und zum Rat zu ermöglichen. Es unterhält ein Generalsekretariat in Brüssel und Informationsbüros in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten. Das EP wird alle fünf Jahre gewählt, das nächste Mal am 2014. 
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Die Bedeutung des EP ist durch mehrere Vertragsänderungen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Es muss immer mehr Beschlüssen des Ministerrates zustimmen, bevor diese in Kraft treten können. In der Praxis hat dies dazu geführt, dass Vertreter des Parlaments frühzeitig an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. 
Im Wesentlichen gibt es in der Union vier verschiedene Verfahren zur Gesetzgebung: 
Erster Schritt ist immer ein Vorschlag (Gesetzentwurf) der EK, der von Rat und Parlament angefordert werden kann. 
  • Im Mitentscheidungsverfahren, das für etwa aller Beschlüsse der EU gilt, sind Ministerrat  und Parlament gleich berechtigt an der Gesetzgebung beteiligt. Der Vorschlag geht zur ersten Lesung ins Parlament, das eine Stellungnahme abgibt, und zum Rat, der einen Gemeinsamen Standpunkt beschließt. In der zweiten Lesung kann das EP den Gemeinsamen Standpunkt  billigen, mit der absoluten Mehrheit ablehnen oder abändern. Der Rat kann nun alle Änderungen des EP mit qualifizierter Mehrheit bzw. einstimmig billigen, wenn die Kommission die Änderungen abgelehnt hat. Billigt der Rat die Änderungsvorschläge nicht, kann ein Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen einen Kompromiss aushandeln. Wird ein Gemeinsamer Entwurf gefunden, müssen Parlament und Rat ihm in der dritten Lesung zustimmen, damit er zum Rechtsakt wird (Art. 251 EG). 
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  • Im Zusammenarbeitsverfahren kann das Parlament Änderungen nur vorschlagen, jedoch nicht durchsetzen, sofern der Rat die Änderungen einstimmig ablehnt. Dieses Verfahren wird ausschließlich in der Wirtschaftspolitik angewendet (Art. 252 EG). 
  • Im dem älteren Anhörungsverfahren (Agrarpolitik) hat das Parlament nur eine beratende Funktion. 
  • Das Zustimmungsverfahren wird bei Verträgen zum Beitritt oder zur Assoziierung weiterer Staaten bei Schaffung neuer Strukturfonds, bei Übertragung von Aufgaben an die Europäische Zentralbank (EZB), bei Ernennung der Kommission und des Kommissionspräsidenten sowie bei der Verhängung von Sanktionen an Mitgliedsländer mit der absoluten Mehrheit angewendet. 
Mit dem Budgetrecht hat das EP die Befugnis, den jährlichen Haushaltsplan als Gesetz zu verabschieden. Das EP und der Rat sind für Beratung und Feststellung des Haushalts der Union zuständig (Haushaltsbehörde). Bei allen Ausgaben, die sich nicht direkt oder indirekt aus Vorschriften der EU-Verträge ergeben (nichtobligatorische Ausgaben), hat das EP das letzte Wort in Höhe und Verteilung. Das sind in etwa die Hälfte der Gesamtausgaben und damit für die Weiterentwicklung der EU besonders wichtige: Sozial- und Regionalpolitik, Forschung, Umwelt etc. Bei den obligatorischen Ausgaben kann das Parlament Änderungen vorschlagen. Möglich ist auch, den Haushaltsentwurf insgesamt abzulehnen.
Etwas weniger als die Hälfte der Eigenmittel der EU wird für die gemeinsame Agrarpolitik ausgegeben, ein weiteres Drittel gilt der Förderung benachteiligter Regionen. 
Eine zusätzliche wichtige Aufgabe des EP ist es, seine Kontrollrechte Rat und Kommission gegenüber auszuüben. Es muss der Ernennung einer neuen Kommission und ihres Präsidenten zustimmen; mit der Mehrheit der Abgeordneten kann sie einem amtierenden Kommissar das Vertrauen entziehen bzw. mit der Zweidrittelmehrheit eines Misstrauensvotums die ganze Kommission zum Rücktritt zwingen.
Außerdem muss am Anfang einer Ratspräsidentschaft ein Arbeitsprogramm und am Ende ein Rechenschaftsbericht vor dem Parlament abgelegt werden, ebenso bei Gipfeltreffen. Weitere Kontrollmöglichkeiten des EP sind monatliche Fragestunden bei Rat und Kommission, Debatten über den Gesamtbericht der Kommission und die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen bei Verdacht auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht. Auch die EZB muss einen Rechenschaftsbericht ablegen und vor den Parlamentsausschüssen Rede und Antwort stehen. Bei Fragen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) kann das EP Stellungnahmen abgeben, die vom Rat berücksichtigt werden müssen. Das EP soll eine unabhängige Kammer sein, die vor allem den Interessen der Bürger verpflichtet ist. 
In der EU gibt es ca. 342 Mio. Wahlberechtigte, jedoch hat die Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament zuletzt auf  43,0 % (1999: 45,2 %) abgenommen. Dies zeigt das mangelnde Interesse seitens der Bevölkerung, auf das politische Geschehen in der EU Einfluss zu nehmen. Einige Gründe spielen dabei eine Rolle: Die Politiker unternehmen nicht ausreichend Bemühungen, ihre Wähler genügend zu informieren und einzubinden; auch in den Medien sind Europa- Themen untergewichtet. So kommt es, dass sich viele nicht direkt von der EU- Politik betroffen fühlen und diese als bürgerfern empfinden. Aufgrund der geringen Wahlbeteiligung lässt sich hinterfragen, wie weit die EU durch die Bürger demokratisch legitimiert ist. Für die Zukunft wird es wichtig sein, dass dem EP als einzig direkt gewähltem Organ auf EU-Ebene noch mehr Entscheidungsgewalt und Kompetenzen übertragen werden. Gefordert wird die Ausdehnung des Mitentscheidungsverfahren auf alle Politikbereiche; die Außen-, Sicherheits-, Innen- und Justizpolitik sollen vergemeinschaftet werden. Ziel wäre ein einheitliches europäisches Wahlverfahren und die Benennung des Kommissionspräsidenten durch das EP. Dies wirft wiederum die Frage auf, ob die angestrebte politische Einigung Europas in einem Bundesstaat mit eigener Verfassung münden soll. 
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Die Rechtsakte der EU-Organe: 
  • Verordnungen sind in der gesamten EU gültige und verbindliche Gesetze, die über dem nationalen Recht stehen. 
  • Richtlinien sind Weisungen an die EU-Staaten, nationale Gesetze oder Vorschriften zu ändern oder neu zu erlassen, um ein verbindlich vorgegebenes Ziel zu erreichen (Art. 249 EG). Ein großer Teil der in Deutschland erlassenen Gesetze beruht auf der Umsetzung von EU-Richtlinien. Für die Bevölkerung ist es somit meist schwer erkennbar, wie viel Einfluss die Europäische Union gerade auf nationale Gesetze hat. 
  • Entscheidungen sind Rechtsakte, die Einzelfälle verbindlich regeln.