6.1.2 Ministerrat
Der  Rat der Europäischen Union, auch bekannt als Ministerrat, ist eine auf der Welt einmalige Institution. Im Rat tagend erlassen die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften für die Union, setzen ihr politische Ziele, koordinieren ihre nationalen Politiken und regeln Konflikte untereinander und zwischen ihnen und anderen Institutionen. Er darf nicht mit dem Europäischen Rat verwechselt werden.
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JUSTUS-LIPSIUS-GEBÄUDE, Brüssel
Der Rat trägt zugleich Merkmale einer supranationalen und einer zwischenstaatlichen Organisation. In bestimmten Angelegenheiten entscheidet er mit qualifizierter Mehrheit, in anderen kann er nur einstimmig entscheiden. Der Rat ist in seinen Verfahren, seiner Arbeitspraxis und selbst in seinen Konflikten auf ein Maß an Solidarität und Vertrauen angewiesen, das in zwischenstaatlichen Beziehungen selten ist.
Auf jeder Tagung des Rates kommen Vertreter der Mitgliedstaaten zusammen, in der Regel Minister, die den Parlamenten und der Öffentlichkeit in ihren Ländern Rechenschaft schuldig sind. Heute finden regelmäßige Ratstagungen zu mehr als 25 verschiedenen Sachbereichen statt. Der Rat "Allgemeine Angelegenheiten" (Außenminister), "Wirtschaft und Finanzen" und "Landwirtschaft" tagt monatlich. Zu anderen Themen wie Verkehr, Umwelt und Industrie tagt der Rat viermal jährlich.
1994 tagte der Ministerrat rund 100mal. Dabei erließ er rund 300 Verordnungen, 50 Richtlinien und 160 Entscheidungen.
Diese Beratungen können als Direktübertragung auf der Website des Rates (video.consilium.europa.eu) verfolgt werden; dort ist zum Beispiel zu sehen, wie ein Minister den Standpunkt seines Landes darlegt. Auch die schriftlichen Unterlagen, die den Ministern zur Verfügung stehen, sind für alle zugänglich.
Der Ratsvorsitz
Den Vorsitz im Rat führen die Mitgliedstaaten abwechselnd  für je sechs Monate, von Januar bis Juni und von Juli bis Dezember.
Mit der Erweiterung und Vertiefung der Aufgaben der Union hat auch die Bedeutung des Ratsvorsitzes zugenommen. Der Ratsvorsitz hat folgende Aufgaben:
  • Vorbereitung und Leitung aller Tagungen des Rates;
  • Ausarbeitung von Kompromissen und pragmatischen Lösungen für dem Rat unterbreitete Probleme;
  • Sicherung der Kohärenz und Kontinuität der Entscheidungen.

Beschlussfassung
Die Zahl der Stimmen jedes Mitgliedstaates ist in den Verträgen festgelegt. Die Verträge legen außerdem fest, in welchen Fällen die einfache Mehrheit, die qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit verlangt werden.
Ab 1. November 2004 gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind:
  • Die Mehrheit der Mitgliedstaaten stimmt dem Vorschlag zu (in bestimmten Fällen eine Zweidrittelmehrheit).
  • Mindestens 232 Stimmen (d.h. 72,3 % der Gesamtstimmen) werden für den Vorschlag abgegeben (das ist in etwa das gleiche Verhältnis wie im früheren System).
Jeder Mitgliedstaat kann darüber hinaus beantragen, dass überprüft wird, ob die Ja-Stimmen mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der Union entsprechen. Ist dies nicht der Fall, kommt der Beschluss nicht zustande.
Stimmenverteilung pro Staat
 
 
Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich
29
Spanien, Polen
27
Rumänien
14
Niederlande
13
Belgien, Tschechische Republik,Griechenland, Ungarn, Portugal      
12
Österreich, Bulgarien, Schweden
10
Dänemark, Irland, Litauen, Slowakei, Finnland
7
Zypern, Estland, Lettland, Luxemburg, Slowenien
4
Malta 
3
INSGESAMT 
345
3. Einstimmigkeit:
Dabei hat jedes Land eine Stimme. Die Beschlussfassung erfolgt durch Abstimmung oder im Konsens verfahren. Einstimmigkeit ist in der Ersten Säule für einige wichtige Angelegenheiten, vor allem hinsichtlich des Beitritts neuer Mitgliedstaaten und Vertragsänderungen vorgesehen. In der 2. und 3. Säule dagegen ist grundsätzlich für die meisten Beschlüsse Einstimmigkeit erforderlich.
4. Doppelte Mehrheit:
Die Qualifizierte Mehrheit hat einen entscheidenden Makel. Mit der Erweiterung der EU sind eine ganze Reihe kleiner Staaten hinzugetreten. Die Stimmengewichtung der Qualifizierten Mehrheit trägt jedoch nicht der Bevölkerungsverteilung Rechnung. Eine Stimme eines Franzosen oder Deutschen wiegt sehr viel weniger, als die eines Letten oder Tschechen. Die großen Länder sehen sich nun zunehmend in eine Defensivposotion gedrängt.
Mit dem Konzept zur Doppelten Mehrheit wird eine Lösung gefunden, die die Interessen der aller Länder angemessen berücksichtigt. Zwei Ungerechtigkeiten werden damit ausgeräumt: 1. Große EU-Mitglieder können einen Beschluss nicht aufgrund einer Bevölkerungsmehrheit über kleine Mitgliedsländer hinwegbeschließen. Sie benötigen auch 50% der Mehrheit aller EU-Länder. 2. Kleine EU-Länder werden nicht ihr überproportionales Stimmengewicht ausnutzen, da sie mind. 60% der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Damit sind die Interessen der großen und kleinen EU-Mitglieder gewahrt.
Die Union und ihre Mitgliedstaaten erarbeiten und verwirklichen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die sich auf alle ihre Bereiche erstreckt.
Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres soll die Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleisten und abgestimmte Maßnahmen in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse ermöglichen. Der Unionsvertrag nennt als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse u. a. Kontrollen an den Außengrenzen der Union, Asylpolitik, Einwanderungspolitik und den Kampf gegen Terrorismus, Drogen und andere schwerwiegende Formen der internationalen Kriminalität.
Das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union (kurz Ratssekretariat) wurde eingerichtet, um den Rat der Europäischen Union, seinen Präsidenten, den Europäischen Rat und dessen Präsidenten zu unterstützen. Das Generalsekretariat wird von einem Generalsekretär geleitet, der vom Rat für eine im Einzelfall festgelegte Funktionsperiode mit qualifizierter Mehrheit ernannt wird. graphic
Zurzeit übt dieses Amt Uwe Corsepius aus (Stand 2012)